Reformhaus Halle
Eine ungewöhnliche Geschichte, die überall passierte
Das Reformhaus Halle – Haus der Bürgerbewegungen – existierte schon, bevor es Realität wurde. Es existierte in den Köpfen von Initiatoren und Mitstreitern der seit September 1989 entstehenden politisch engagierten Gruppen wie NEUES FORUM, SDP (heute SPD) und Demokratie Jetzt. Ihre Arbeit für Veränderungen und Reformen im Land vollzog sich fast ausschließlich in Wohnungen oder kirchlichen Räumen – ein Zustand, der nicht dauerhaft bleiben konnte.
Ein Haus für die reformengagierten Gruppen – eben kurz „Reformhaus“ genannt – war so eine ganz notwendige und dringende Forderung gegenüber der damaligen allmächtigen Parteiführung im Bezirk Halle. Und dieser Forderung, wie auch anderen, konnten sie sich nicht mehr entziehen, nachdem Zehntausende montags auch in Halle auf dem Markt und Hunderttausende im ganzen Land für Veränderungen und Reformen demonstrierten. Am 30. Oktober 1989 erhielten Vertreter des NEUEN FORUM – es war gerade zugelassen worden – die Zusage vom Bezirksparteichef, ein solches Haus werde den Gruppen zur Verfügung gestellt. Bereits am Wochenende zuvor hatten Hallesche Künstler den Erlös einer Versteigerung im neuen theater dem zukünftigen Reformhaus und der Mahnwache in der Georgengemeinde gespendet.
Die Idee war da, der Name war da, Geld war auch schon da – nur das passende Haus fehlte noch.
Es sollte sofort beziehbar und zentral gelegen sein. In Halle kein leichtes Vorhaben – leerstehende Häuser gab es genug, nur im welchem Zustand! Diese Art von Häusern – Ruinen – wurden uns dann auch angeboten: in der Philipp-Müller-Straße, in der Schmeerstraße, die alte Neumühle. So gingen wir selbst auf die Suche. Ein bisschen überrascht waren wir schon, als dem Vorschlag Große Klausstraße 11 zugestimmt wurde. Dort sollte eigentlich die Bauleitung für den geplanten Kulturpalast auf der „Spitze“ arbeiten. Gab es die Stadt her, weil jemandem zu dämmern begann, dass es mit dem Prunkbau so bald nichts mehr werden würde?
Doch im November war das Haus noch nicht ganz fertig. Wir hofften aber, vor Weihnachten einziehen zu können. Die Bauarbeiten verzögerten sich jedoch weiter, und so wurde es Mitte Januar 1990, als wir – endlich! – „unser“ Haus beziehen konnten.
Elf Gruppen zogen als erste ein – voller Elan, aber mit fast leeren Händen. Möbel aus der sich nun aufzulösenden Stasi-Bezirksverwaltung wurden abgeholt. Spenden aus der Bevölkerung und so manches Stück vom Dachboden kamen zu neuen Ehren. Alte Schreibmaschinen, ein Ormig-Vervielfältigungsgerät, wenig Büromaterial – das waren die Anfängen. Und trotz dieser Bedingungen – was für eine Stimmung und was für Leistungen! Die „Reformzeitung“, die wöchentlich vierseitige Beilage der neuen politischen Gruppierungen in der damaligen „Freiheit“, wurde hier erarbeitet. Hier entstand die „Stattzeitung“ vom NEUEN FORUM. Von hier aus gingen wichtige Impulse an den Runden Tisch des Bezirks bzw. der Stadt Halle. Alles mit einem Ziel: demokratische Strukturen aufzubauen du zu stärken, die Mitbestimmung der mündigen Bürger zu organisieren und zu garantieren und vor allem, die Zukunft gewaltfrei zu gestalten.
Das Reformhaus ist nicht groß, doch hat es eine weitreichende praktische und symbolhafte Bedeutung für den Erhalt der lokalen Demokratie.
Wir sind der Überzeugung, dass von den Erfahrungen in und nach der Wende auch heute noch wichtige Impulse zu aktuellen Fragen und Herausforderungen ausgehen.